Sonntag, 24. Oktober 2004

Linie (RE)1

Freitag fuhr ich vergleichsweise spät von Mdg. nach Pdm., weil ich den Nachmittag mit einigen Kommilitonen gezwungenerweise in der Bibliothek verbrachte und wir an unserer Hausaufgabe zu Lotharingien (Lothringen) im Zeitalter des Investiturstreits arbeiteten. Gegen 19 Uhr befand ich mich aber endlich an der StraBaHaltestelle in O-Town und wartete auf ne Bahn, als ein etwas alkoholisierter und heruntergekommener Mann mich nach ner Zigarette fragte, mit der ich leider nicht dienen konnte. „Was denn hier los, Nichtraucherzone oder was, der da hinten hatte auch keine“. Als er von einem anderen studentenartigen Passanten dann doch ne Fluppe bekam, dachte ich, jetzt wird er sich ja wohl eher dem zuwenden, es begab sich aber dass er mir ein Gespräch aufdrängte und mit mir in die Bahn stieg. Mir war das eigentlich egal, warum sollte ich mich nicht mit ihm unterhalten, nur weil er ein Opfer des Systems war, welcher gleichsam vom System gebraucht wurde, um allen als abschreckendes Beispiel zu dienen. Aber genug der Politik, was er zu erzählen hatte, war recht kurzweilig und durchaus geeignet, die Fahrt von O-Town bis zum Hbf. zu überbrücken. Ich wußte nun, das er gegen das Tierheim vorgehen wollte, weil der Hund seines Kumpels, der im Krankenhaus war (nicht wegen zu viel Alkohol, sondern wegen zu wenig: „Naja, Entzug halt“), dort für die Dauer des Krankenhausaufenthalts abgegeben wurde und danach mit Zwingerhusten infiziert erhebliche Kosten beim Tierarzt verursacht hatte; ich wußte, dass er geschieden war, und vor zwei Wochen ohne Fahrschein nach Berlin und wieder zurück gefahren ist, und dabei von der Polizei in Potsdam aufgegriffen und aufgrund vergessenem Personalausweis eine Geldstrafe erhalten hatte, nicht zu vergessen, die Strafe fürs Schwarzfahren. Mir viel auf, dass seine letzte Story ebensogut in naher Zukunft spielen könnte, als die Strassenbahn vorm Hbf. hielt und ich hatte das Gefühl, dass sich unsere Wege hier nicht trennen würden. „Weißt du was n' Wochenendticket kostet?“ fragte er, „Keine Ahnung...“ - „Frag doch mal.“ Ich fragte also an der Fahrkarteninformation und erfuhr, dass das Ticket 30 Euro kostet, aber erst ab morgen früh um 3 Uhr gelte. Der Trinker, der mir übrigens inzwischen unaufgefordert verraten hatte, dass er Andreas hieß, erkundigte sich nun, was eine normaler Fahrschein kosten würde. „Das kommt drauf an, wohin Sie wollen“ wortete die Bahnangestellte ant, „Na nach Potsdam“. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich gab ihm 2,50 für Tabak (war das ein Fehler?) und ging zur Sparkasse um mir Geld für meine Fahrkarte zu holen. Als ich wiederkam und mein Ticket bezahlte, erzählte mir Andreas, die olle Zippe vom Kiosk wollte ihm keinen Tabak verkaufen: „Männer sind Schweine, hattse gesagt, meinste mich jetzt damit, frag ich, nee, alle Männer sind Schweine, alle rinn in' Sack und ab damit inne Elbe“. Andreas hatte inzwischen tatsächlich den Entschluß gefasst mit der Regionalbahn mitzufahren. „Wolln wir noch zwei Bier kaufen? Die Fahrt ist lang“ schlug er vor. Vor allem Wir, er hatte ja garkein Geld mit, ausser den 2,50, die ich ihm gegeben hab, „Nee, nee, ich bin heut noch mit meiner Freundin verabredet“. In einem zweiten Kiosk ist er dann noch zu seinem Tabak gekommen und hat erst mal mit der Verkäuferin geflirtet, die sofort mitgespielt hat:
Er: Polizei, kommse mit, Sie sind verhaftet!
Sie: Achja, wieso denn?
Er: Wegen nischt!
Sie: (lacht)
Er: Na los, mach den Laden dicht, morgen heiraten wir!
Sie: Aber ich hab doch garkein Brautkleid
Er: Macht nischt, kommste in Minirock und ich in kurzer Hose
Sie: (gibt ihm den Kassenbon)
Er: Schickste mir per Post
Sie: Ok, ich fax ihn dir zu!
Wir gingen weiter zum Bahnsteig und als er sah, das der Zug auch nach Berlin fuhr, war er nicht mehr zu halten. Er wiederholte noch mal wie er in Berlin war, und wie toll es da war, aber das es am Bahnhof Zoo ja ganz schlimm gewesen sei, mit den ganzen „warmen Brüdern und Drogensüchtigen“... Er quatschte noch ein paar minderjährige Mädels an, ließ sich Feuer geben und scheeckerte noch ein bissjen rum, bis der Zug kam. Ich dachte mir, ich könnte nicht einfach zulassen, das ein arbeitsloser Alkoholiker ohne Personalausweis („Aber ne AOK-Karte hab ich bei, steht doch auch mein Name drauf“), ohne Geld, ohne Fahrkarte den gleichen Fehler zweimal macht und einfach so nach Berlin fährt, ohne dass eine nüchterne Person Bedenken äußert. „Willst du jetzt wirklich da mit fahren?“ - „Muss ick jawohl.“ ... Musste er? Ich wies ihn darauf hin, dass er das auf eigene Gefahr macht und wir stiegen ein. Zuerst suchten wir das Raucherabteil auf, wo er ein paar skatspielende Jugendliche traf, die ihn aber nicht mitspielen lassen wollten. Nachdem er aufgeraucht hatte gingen wir nach unten ins Fahrradabteil, weil ich nicht wollte, dass meine frischgewaschenen, nach Kiwi duftenden Haaren den Geruch des Raucherabteils annahmen. Ich hab schließlich nicht umsonst aufgehört zu rauchen. Er schien das Geruchsargument nicht recht zu verstehen, folgte mir aber dennoch nach unten. Dort ließ er sich aber nicht davon abhalten weiter zu rauchen. Ich schickte meiner Freundin per SMS eine Warnung, dass ich unter Umständen nicht allein sein würde, wenn ich in Pdm. aussteige. Ein dunkelhäutiger Niedersachse kam ins Fahrradabteil um das dort befindliche WC aufzusuchen und wurde erstmal von Andreas verarscht: „Is besetzt!“. Ein Grinsen verriet den „Scherz“. „Na, ich hab ja nischt gegen die Presskohlen.“ - „Das ist aber nicht der korrekte Ausdruck ...“ - „Nee, sag ich ja auch nur so. Ich kenn welche, die sind ganz ok.“ - „Die möchten aber bestimmt nicht so genannt werden“ versuchte ich wieder rassistische Rudimente aus seinem Sprachgebrauch zu tilgen. Allein, es war vergebens. Bald gesellte sich ein weiterer Jugendlicher zu uns mit ziemlich langen blonden Dreads, der sich ebenfalls erstmal ne Mulze drehte. „Sachma, kommste da überhaupt noch mit nem Kamm durch?“ - „Seh ich so aus, als ob ich mich kämme?“ Andreas verglich ihn dann noch mit einem Charakter aus der Lindenstrasse, dem wir aber beide nicht folgen konnten. Nach einiger Zeit kam auch noch der Schwarze mit seiner Freundin (sah so latinomäßig aus) zu uns ins Abteil, ab da wurde es dann richtig lustig. Die beiden haben ebenfalls Bierchen getrunken und geraucht und den dreadgelockten Zivi (dass er Zivi war erfuhr ich erst später) auch n Hasseröder gegeben. Nach ersten harmlosen Gesprächen, die noch nichts von dem ahnen ließen, was noch kommen sollte, fragte Andreas seinen dunkelhäutigen Gegenüber, der eine Kamera dabei hatte, ober er ihn (also Andreas) fotographieren wolle. „Nee, nee, ich hab meine Freundin fotographiert. Wir haben Nacktfotos gemacht“ - „Aha...“ - „Glaubst du nicht? Willste mal sehen?“ Er reichte die Digitalcamera zu uns und auf dem Display war seine Freundin zu sehen, wie sie sich den Pullover bis kurz unter die Brustwarzen hochzog. Ich dachte, diese Situation wär das Absurdeste, was ich bei dieser Fahrt erleben sollte aber es kam noch doller. Wenige Minuten später bat er mich, ein Foto von ihm und seiner Freundin zu machen. Das erste Foto war harmlos, ich möchte sogar sagen „süß“ doch dann sollte ich noch ein Foto machen und noch eins und noch eins. Nicht nur, dass er seine Freundin küsste, wie man es sich in der Öffentlichkeit zumeist verkneift, nein, er zog ihr den Pullover hoch, ja beinah halb aus und knutschte ihre baren Brüste, während sie nicht mehr aufhörte zu lachen. Ich wusste garnicht mehr wo ich hingucken sollte und dachte nur daran schnell zwei, drei Fotos zumachen, damit er mit dieser Show aufhörte. Der DreadlockZivi war ähnlich amüsiert aber auch irritiert wie ich und Andreas war völlig ausm Häuschen: „Na hier ist ja was los! Na sowas! (zu mir gewandt:) Sach mal, was hätte den deine Alte gesagt, wenn du dass hier bei ihr gemacht hättest?“ - „Ich hab ne junge und keine Alte!“ meinte ich, er darauf „Also bei meiner Alten, ja da wären hier keine Scheiben mehr im Abteil!“. Soso. Aber er war ja eh geschieden („Aber zum ficken findet man ja immer eine“). Der Niedersachse nickte ihm zu. Nach der folgenden Station stand die Schafnerin, eine gutmütig dreinblickende Frau um die fünfzig, in unserem Abteil (der Boden über und über mit Kippen garniert), Andreas schaute mich ganz entgeistert an und rief laut dem Rotkäpchen entgegen: „Ich hab keine Fahrkarte! Ich hab keine!“ - „Na das werden wir gleich sehen“. Ich zeigte mein Billet vor und als Andreas an der Reihe war, meinte der Schwarze: „Ich hab ein Brandenburgticket, er gehört zu mir!“, grade als der Zivi sein Ticket rauskramen wollte, rief der Schwarze nochmals: „Der gehört auch zu mir!“. Hm, dachte ich bei mir, hätte ich mir meine Karte ja auch sparen können. Tja, das Glück ist mit den Furchtlosen (oder so). Die Schafnerin wurde aber nicht entlassen, bevor Andreas nicht noch einen Versuch gewagt hätte. Ein Auszug:
Er: „Jag deinen Alten weg und nimm mich!“
Sie: „Dit hab ich schon lange gemacht, aber ich such jetzt nen Reichen. Wat hat er den zu bieten?“
Er: „Ich hab ne Zweizimmerwohnung, und nen Hund!“
Sie: „Na da hab ich aber mehr. Ich hab zwei Kinder, nen Hund und ein Haus.“
Er: „N' Haus hab ich auch. N' Scheißhaus!“
Sie: „Dit hab ick auch. Eins drinnen und eins draußen! Da können wir uns nicht in die Quere kommen“ (grinst und geht ab)
Es folgten dann noch einige äußerst schräge Dialoge, wobei sich Andreas von dem Pärchen schön hat verarschen lassen, bis sie dann wieder zu ihrem Gepäck im anderen Abteil gegangen sind und Andreas ihnen folgte. Derweil unterhielt ich mich mit dem Zivi, der seinen Dienst an unserem geliebten Vaterland in einem punkigen Jugenclub leistet und die dortigen Räume nutzt, um mit seiner Band zu proben. Irgendwann kam dann Andreas wieder zu uns und erzählte aufgeregt, dass das Pärchen da noch weitermache: „Die fässt ihm an' Schwanz! Ja, wirklich! Die hat ihre Hand in seine Hose jesteckt!!“. Aber immerhin konnte er ihr Ticket haben, wenn die beiden in Berlin angekommen sind, „Das is ja bis 3 Uhr gültig, da komm ich sogar wieder nach Magdeburg. Die alte Fotze hät mir das Geld eh nicht gegeben“. Damit meinte er seine in Berlin in einem Einfamilienhaus lebende Tante, die ihn nicht reinlässt, wenn er ne Fahne hat. In Potsdam angekommen verabschiedeten der Zivi und ich uns von Andreas und wurden begrüßt von unseren jeweiligen Freundinnen, die lustigerweise auch mit der selben StraBa zum Hbf Pdm gefahren sind. Eine verrückte Fahrt...
So lief das. Ich weiß zwar nicht, ob das überhaupt von allgemeinem Interesse ist, aber jetzt haben es Ihre Gehirnzellen schon gespeichert – nun ist es zu spät :)!

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